Regionalität in der Speisekarte – Anspruch und Wirklichkeit
Regionalität ist schon länger die Sau im kulinarischen Rennstall, die fast jedes Restaurant und Hotel stolz durch die Straßen treibt. Kaum ein gastronomisches Etablissement verzichtet auf die Verheißung von Heimatliebe, Nachhaltigkeit und des „lokalen Geschmacks.“ Und die meisten meinen es auch ernst. Ob auf der Website des Betriebs oder im Gespräch mit den Gastgebern – immer wieder begegnen uns die Geschichten von den wertvollen Partnerschaften zwischen Küche und Erzeugern. Da wird mit Leidenschaft davon erzählt, wie schwer es war, den einen besonderen Produzenten zu finden, der mit Hingabe seine Schweine aufzieht oder sein Gemüse hegt, um in einer gaumenschmeichelnden Qualität in die Töpfe und Pfannen der Gastro-Küchen zu wandern.
Diese Geschichten machen neugierig. Sie verbinden den Gast emotional mit dem, was auf seinem Teller landet. Sie schaffen Vertrauen und vor allem: Sie steigern die Lust, das kulinarische Kunstwerk zu kosten – mitsamt der Anekdote, die es erzählt.
Aber genau da hakt es: Diese wunderbaren Geschichten finden sich oft nicht dort, wo sie hingehören – im Restaurant, auf der Speisekarte, am Tisch. Was wir stattdessen häufig vorfinden, ist eine halbherzige Liste von Produzenten, versteckt auf der letzten Seite der Menükarte, oder die einfache Nennung von Namen. Ein bisschen so, als hätte man die Liebesgeschichte direkt in den Abspann eines Films gepackt – und die Zuschauer sind längst aufgestanden. Die Liebe zur Regionalität ist der Anspruch, der gelebt wird , aber die Kür, diesen Anspruch auch an den Gast zu vermitteln fehlt.
Die Realität
Ein Paradebeispiel aus eigener Erfahrung: Bei der Planung unserer Weihnachtsfeier telefonierte ich mit dem Inhaber der gleichzeitig der Koch des Gasthauses ist. Im Gespräch kam außerordentliche Produzentenliebe, Stolz und Produktverliebtheit bei mir an.
Vorschläge für Gerichte vom Lockinger Schweine, Saibling vom Müllnerhof, der Mann kennt seine Produzenten. Mitreißend, begeisternd und vertrauensbildend. Ich habe ihm bei der Menüplanung vollkommen freie Hand gelassen, in dem Wissen und Vertrauen, dass wir regional und saugut bekocht werden.
Dann, zwölf Personen am Tisch, voller Vorfreude, die Menüs lagen bereit. Doch die Begeisterung, die sich beim Telefonat eingestellt hatte, die persönlichen Geschichten, die alles so einzigartig gemacht hatten – Fehlanzeige, sie kamen nicht mehr vor
Wo ist sie hin, die Liebe, die ich im Gespräch vernommen habe, die mitreißend akustisch gestrahlt hat? Am Platz auf der Karte dürfte es nicht gelegen haben.
Die Menükarte war nicht mehr als eine schlichte, uninspierierte Auflistung der Gerichte , die keinerlei Tiefe oder Persönlichkeit vermittelte.
Das begeisterte Gefühl, das ich im Vorfeld hatte, verflüchtigte sich am Tisch. War die Verbindung zu den Produzenten doch nur eine oberflächliche, emotionslose Angelegenheit? Eine dem Zeitgeist geschuldete Pflicht? Natürlich nicht. Es war schlichtweg das Versäumnis, diese Geschichten am Tisch zu erzählen, das vorhandene Potenzial zu nutzen, und so das Esserlebnis auf ein neues Level zu heben. Studien zeigen, dass solche Informationen auf der Speisekarte tatsächlich den Geschmack und die Wahrnehmung der Gerichte positiv beeinflussen. Es hat messbare Effekte auf Bestellverhalten, Kundenzufriedenheit und langfristige Bindung.
Macht mehr aus euren Speisekarten
Natürlich wussten alle im Team von meinem begeisternden Telefonat. Aber ohne die Geschichten direkt in der Menükarte bleiben sie für die meisten unsichtbar. Die regional-kulinarische Identität des Restaurants wurde erst für alle sichtbar, als wir mit Wirt und Wirtin noch bei einer Flasche Riesling Smaragd vom Weingut Lagler beieinandersaßen.
Wein und Weingut sind fotografiertes Etikettenwissen. Das hätte ich mir bei den Speisen ebenfalls gewünscht – die Produzenten, deren Geschichten und Gesichter, greifbar am Tisch, zum Mitnehmen.
Die Nennung der Produzenten ist mehr als nur eine Randnotiz. Es ist die Chance, den Gästen die Menschen hinter den Produkten näherzubringen, die Qualität zu verdeutlichen und ihnen am Ende des Abends nicht nur einen vollen Magen, sondern auch eine nachhaltige Erinnerung mit nach Hause zu geben. Es geht darum, die Verbindung zwischen Tisch, Küche und Region zu stärken.
Produzenten gehören direkt ans Gericht – nicht auf irgendeine versteckte Seite der Menükarte. Wir müssen den Menschen zeigen, woher die Produkte kommen, wer sie aufgezogen, geerntet oder gefangen hat.
Damit schaffen wir nicht nur ein besseres Esserlebnis, sondern auch eine nachhaltige Beziehung zwischen Gast, Küche und Region und ein Verständnis für die Herkunft des Essens – ganz nebenbei
Und wer weiß – vielleicht geht der Gast beim nächsten Mal selbst zum Produzenten und kocht das Erlebte zu Hause nach.
Ein Kreislauf, der jedem Geschmack zugutekommt.